Bäume können bis zu 1000 Jahre alt werden. Im Wald ticken die Uhren also tatsächlich ganz anders. Daher ist es für Förster:innen total interessant, den Blick in die Forstgeschichte zu wagen. So kann man viele heute herrschende Strukturen erklären und nachvollziehen. In diesem Artikel nehmen wir Euch mit auf eine Reise in die Vergangenheit des Waldes.
Dass unsere Wälder heute so aussehen, wie sie aussehen, liegt vor allem an der Jahrhunderte langen Beziehung zwischen Mensch und Natur. Zum Beispiel finden wir so viele Reinbestände mit Nadelhölzern, weil man in der Vergangenheit besonders großen Wert auf schnell wachsendes Holz gelegt hat. Die Forstwirtschaft heute muss in zwei Richtungen blicken. Sie muss sich einerseits mit dem Erhalt unseres bestehenden Waldbilds befassen. Aber auch mit Blick auf zukünftige klimatische und wirtschaftliche Veränderungen den Wald für kommende Generationen sichern.
Natürliche Wälder
Vor unsere Zeitrechnung war der Wald Mitteleuropas mit Urwäldern, hauptsächlich mit Buchen, bedeckt. Durch verschiedene vorgeschichtliche Klimaveränderungen wuchsen dann auf eher trockenen Standorten Kiefer und Birke. Zudem gab es Eichenmischwälder, in denen Ulmen, Eschen, Linden und Ahorn wuchsen.
Das hölzerne Zeitalter der Forstgeschichte
Vor allem seit dem frühen Mittelalter kommt es zu einem erheblichen Eingriff und Nutzung des Waldes. Nicht ohne Grund wird die vorindustrielle Zeit auch als „hölzernes Zeitalter“ bezeichnet, denn damals war Holz der wichtigste Rohstoff und Energielieferant.
Holz wurde vorwiegend als Brennholz zum Heizen, für die Errichtung von Häusern und in unterschiedlichster Weise auch als Werkstoff verwendet. Im 13. Jahrhundert besaß hauptsächlich Adel und Klerus Wald. Die entschieden auch über Rodung und Jagd, wobei es dabei weniger um den Schutz des Waldes ging und mehr um persönliche Interessen.
Landwirtschaftliche Waldnutzung
Der Wald durfte damals von Bauern zum Weiden von Schweinen und Vieh uneingeschränkt genutzt werden. Bei der sogenannten Streunutzung wurden Laub, Nadeln und Moos getrocknet, um für die Tiere Strohersatz und Einstreu herzustellen.
Zudem wurden im Waldfeldbau Laubbäume auf Brusthöhe gefällt und die Äste und Stämme getrocknet. Diese und heiße Glut wurden mit langen Haken auf kompletter Länge, in sog. Walzen, ausgerollt. Auf den Flächen säte man dann Getreide oder auch Kartoffeln an. Je nach Region und Form gab es unterschiedliche Bezeichnungen, wie „Hackwald“, „Heuberge“ oder „Birkenberge“.
Waldnutzung in der Forstgeschichte
Honig war der Süßstoff des Mittelalters. Die Zeidlerei, eine besondere Art des Honig Sammelns, war deshalb ein wichtiger Erwerbsbereich. Anders als die Imkerei heute, wo Bienen in Stöcken oder Körben gehalten werden, hat man damals Höhlen in die Bäume gehackt, die Wildbienen mit etwas Glück bevölkerten. Die Bäume blieben dabei aber am Leben!
Schon damals etablierten sich auch die ersten Formen von Nieder- und Mittelwaldwirtschaft. Der Niederwald war eine Art den Wald zu bewirtschaften, bei dem es nicht auf große, starke Bäume ankam. Stattdessen war das Ziel die Produktion von vielen kleinen Ästen, die dann als Brennholz genutzt wurden. Einzelne Stämme ließ man dann stehen, um so größere Stammdurchmesser für Bauholz zu erlangen. Damit konnten dann Häuser und Burgen errichtet werden, die wir teilweise noch heute bestaunen können!
Wusstest Du schon…?
Die Lüneburger Heide ist ein durch den Menschen entstandener Landschaftstyp. Sie ist also nicht natürlich! Erst durch die intensive Beweidung und Streunutzung des Waldbodens unserer Vorfahren wurde der Boden unfruchtbar und das charakteristische Heidekrautgewächs siedelte sich an. Heutzutage werden die einheimischen Heidschnucken, eine alte Schafrasse, auf diese Flächen zum Weiden gelassen. Das soll vor allem dem Schutz von nun sehr seltenen Tier- und Pflanzenarten dienen, die sich diesem besonderen Lebensraum angepasst haben.
18. Jahrhundert: Verwüstung der Wälder
Durch den stetigen Bevölkerungszuwachs musste immer mehr Wald für den Bau von Siedlungen weichen. Dieser befand sich im 18. Jahrhundert durch Übernutzung, Ausplünderung und Vernichtung in einem sehr schlechten Zustand. Besonders holzfressende Gewerbe, wie die Salzgewinnung, Köhlerei, Bergbau und Glasbläserei, waren stark abhängig von der Holzversorgung der umliegenden Wälder. Sogar der Ferntransport wurde durch die Flößerei ausgebaut und Holz konnte so per Floß bis nach Venedig transportiert werden! Die vielen Versuche, die Waldnutzung einzuschränken oder gar zu verbieten, führten in dieser Zeit eher zu Konflikten und einem Feindbild von Förstern und Jägern, als zu einer Verbesserung des Waldzustands.
Wusstest Du schon…?
Die Glasbläserei war ein Handwerk, was riesige Mengen Holz verschlang. Für 1 Kilogramm Glas benötigte man bis zu 2 m3 Holz. Also musste eine ungefähr 100 jährige Buche für 12 Flaschen gefällt werden! Bei der Herstellung gewann man aus Asche von Buchenholz die sogenannte Pottasche. Aus der Pottasche und Quarz konnte in einem Schmelzofen dann Glas hergestellt und verarbeitet werden. Im Bayerischen Wald siedelten sich viele dieser Glashütten an, denn dort gab es besonderen Holzreichtum und Quarzbrüche. Noch heute kann man sich dort zum Beispiel in der Bergglashütte Weinfurtner ein Bild der Jahrhundertelange Tradition machen.
19. Jahrhundert: die beginnende Industrialisierung
Mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert konnte der Wald dann endlich ein wenig durchatmen. Holzkohle wurde durch Steinkohle ausgetauscht und neue Baustoffe wie Beton, Stahl und Kunststoff ersetzten das Holz in seiner Funktion. Interessanterweise beginnen wir heute übrigens genau diese Baustoffe wieder mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz zu ersetzen. Denn die Verwendung von Holz ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Klimawandel!
Auch Reformen in der Landwirtschaft (Stallfütterung und Mineraldüngung) reduzierten die belastende Nebennutzung des Waldes.
Anfänge der Forstwirtschaft
Trotzdem verringerte sich durch die steigenden Lebensansprüche der Bevölkerung der Holzbedarf nicht. Vielmehr wurde eher die Nachfrage nach Nutzholz mit bestimmter Qualität und Dimension größer. Fachleute mussten her! Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer für uns bahnbrechenden Veränderung: Die Forstwirtschaft wurde gegründet! Erste Lehranstalten und Forst-Hochschulen mit Fachleuten waren dringend notwendig. Man kam zu der Erkenntnis, dass nur so viel Holz entnommen werde sollte, wie auch wieder nachwüchse. Um aber immer wieder neues Nutzholz bereitzustellen, wurde von forstlichen Wegbereitern über die richtige Baumartenwahl, Pflege und Rodung der eingeteilten Waldflächen gelehrt.
Die Umwandlung des Waldes fand damals jedoch hauptsächlich durch Anpflanzung von Nadelhölzern statt, was vor allem an den noch immer im Vordergrund stehenden ökonomischen Interessen lag. Der Grund: Nadelhölzer waren relativ anspruchslos, litten am wenigsten unter Wildtierverbiss, und lieferten in gleicher Zeit dreimal so viel Nutzholz wie andere Laubbaumarten. Es entstanden gleichartige, eintönige Wälder, mit getrennten Altersklassen, die einem Acker glichen.
Gefahren der Reinbestände waren schon damals bekannt und Karl Geyer, ein bayerischer Forstwissenschaftler, entwickelte alternative Waldkonzepte wie den „gemischten Wald“.
Wusstest Du schon…?
Bereits im Jahr 1368 wurden erstmalig von Peter Stromer künstliche Kiefernbestände begründet. Der Nürnberger Unternehmer fand heraus, wie man aus den Zapfen des Nadelholzes Saatgut herstellen konnte. Die Erfindung war aus technisch-biologischer Sicht herausragend. Man hat sich aber auch erstmals Gedanken darüber gemacht, wie der Wald für künftige Generationen erhalten werden könne. Schnell verbreiteten die sogenannten Nürnberger Tannensäer diese neue Waldsaat in ganz Europa.
Wald und Krieg
Kriegszeiten haben den Wald stark verwüstet und beansprucht. Holz wurde für den Wiederaufbau von zerstörten Häusern und Städten benötigt und ebenso als Brennholz. Unentbehrlich war es vor allem als Rohstoff von Kriegsmaterialien, wie der Waffenproduktion, Festungsbauten sowie dem Schiffsbau.
Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurde der Wald zu einem Wirtschaftswald instrumentalisiert. Nachhaltig bewirtschaftete und naturnahe Wälder standen nicht im Fokus, sondern Produktionssteigerung durch Reinbestände war das Ziel.
Besonders nach dem zweiten Weltkrieg wurde Holz immer knapper: In den ersten Nachkriegsjahren wurde bis zu 15-mal mehr Holz geschlagen, als nachwachsen konnte. Grund war aber nicht nur der hohe Eigenbedarf, sondern die Reparationen, also Schadensersatzzahlungen, die Deutschland an die Alliierten leisten musste. Dies erfolgte auch in Form von Naturalien, weshalb während der sogenannten Reparationshiebe 10% der deutschen Waldfläche kahlgeschlagen wurden.
Unser Wald aus Frauenhand
In Folge des 2. Weltkrieges hat man 1947 die „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ (SDW) gegründet, welche bis heute die Aufgabe hat, den Bestand zu sichern und den Wald zu schützen. Insbesondere Frauen haben die entstandenen riesigen Kahlflächen durch die Reparationshiebe aufgeforstet, während die Männer im Holzeinschlag oder Kriegsgeschehen tätig waren. Diese sogenannten Kulturfrauen säten viele unserer heutigen Wälder an und pflegten die Verjüngungen. Dabei wurde besonders viel die altbewährte Fichte gepflanzt. Noch heute erinnern die Fichtenreinbestände im Harz an die Verwüstung und Knappheitsperiode des zweiten Weltkrieges.
Wat nu?
Heutzutage haben die meisten von uns das Glück nicht zu erfrieren, wenn das Holz gerade mal knapp wird. Der Wald ist ein Ort, um mal den Kopf auszuschalten, in der Natur spazieren zu gehen und den Vögeln zu lauschen oder mit dem Fahrrad durch die Gegend zu fetzen.
Die Bedeutung des Waldes hat sich im Laufe der Forstgeschichte verändert. Früher war er noch der wichtigste Rohstofflieferant. Heute müssen wir vor allem darauf achten, dass wir ihn schützen und für die Zukunft erhalten. Bäume übernehmen wichtige Funktionen für uns, wie Klimaextremen abzufangen, den Wasserhaushalt zu regulieren und Luftschadstoffe zu filtern und an sich zu binden. Durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die damit einhergehende Erderwärmung verändert sich unser Klima schneller. Immer häufiger zerstören Stürme, Insektenplagen und Trockenheit ganze Waldflächen oder machen die Bäume so krank, dass sie ihre Funktion nur schwer oder gar nicht mehr erfüllen können.
Aus der Forstgeschichte gelernt: heute schützen wir die Waldfunktionen
In der modernen Forstwirtschaft steht deshalb vor allem die Sicherung der Waldfunktionen im Vordergrund. Immer häufiger setzt man auf die stabilen Mischwälder, denn diese kommen mit den Klimaveränderungen besser klar als die von den vergangenen Generationen angepflanzten Reinbestände. Durch das Pflanzen von Laubbäumen und mehr Beachtung von Natur- und Artenschutz, soll der Wald so gesichert und erhalten werden.
Egal welches Zeitalter der Forstgeschichte wir betrachten, der Wald steht und fällt mit der Art wie wir leben und den Ansprüchen, die wir an ihn stellen. Deshalb ist es wichtig, dass auch Du Dir bewusst wirst, dass Deine Lebensweise und Konsum den Wald und die Natur, vor allem für die Zukunft, stark beeinflussen!
Quellen:
Ernst Röhring, Norbert Bartsch, Burghard von Lüpke: Waldbau auf ökologischer Grundlage, 2020. UTB GmbH S. 20-25
Timo Sievers und Dr. Friedhart Knolle: Die Reparationshiebe der Engländer in den Wäldern des Westharzes nach 1945, in Unser Harz 58(4+5):86 – 89 2010. https://www.karstwanderweg.de/publika/uns_harz/58/86-89/index.htm
Bernd-Stefan Grewe: Wald, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), 2011. https://d-nb.info/1031443800/34
Küster, Hansjörg: Kleine mitteleuropäische Wald- und Forstgeschichte, 2017. https://www.bpb.de/apuz/260676/kleine-mitteleuropaeische-wald-und-forstgeschichte?p=0
Axel Bader M.A., Prof. Dr. Max Krott: Wald und Krieg –Forstwirtschaft und Förster in Kriegs- und Nachkriegszeiten, https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/6ee16064f45583719508d4c01ea51608.pdf/Poster%20GK%20Evaluation%20Bader%20-%20Dreieck%20-%20Vorlesung.pdf
Ulrich Schierhold
1. Mai 2021 — 18:43
Habe mit Lust und Belehrung gelesen! Zum Stichwort „Wald aus Frauenhand“: Diese Knochenarbeit ist tatsächlich an mindestens einer Stelle durch ein ziemlich ansehnliches Denkmal gewürdigt worden, wenn auch mit allerhand ideologischer Verbrämung, die zu der Zeit an dem Ort wohl ganz unvermeidlich war: das Forstarbeiterdenkmal in Oberhof im Thüringer Wald. Wikipedia kennt die ganze Geschichte. Gruß, Uli aus Osnabrück