Wie viel Wild ist in unseren Wäldern?

Es hat verschiedene Vorteile zu wissen, wie viele Wildtiere in unseren Wäldern lebt. Vor allem im Natur- und Artenschutz ist es wichtig, frühzeitig zu erkennen, dass bestimmte Tierarten immer seltener oder häufiger vorkommen. So kann man frühzeitig geeignete Gegenmaßnahmen treffen. Auch für Förster:innen ist es wichtig zu wissen, wie viele Wildtiere durch ihren Wald laufen. Das hat einerseits waldbauliche Gründe, denn Rehe & Co fressen gerne die Triebe von jungen Bäumen. Andererseits ist Forstleuten natürlich auch der Naturschutz sehr wichtig. Sie wollen wissen, ob seltene und bedrohte Arten eine Zuflucht in ihrem Wald gefunden haben. Dadurch kann zum Beispiel der Horst eines Rotmilans oder Schwarzstorches optimal geschützt werden.

Der weltweit seltene Rotmilan kommt in Deutschland relativ häufig vor. Über die Hälfte der Weltpopulation brütet bei uns.

Evolution oder Bedrohung?

Wenn wir von Naturschutz und Artensterben sprechen, müssen wir etwas erwähnen: Das Aussterben von Tieren und Pflanzen ist ein ganz natürlicher Vorgang und gehört zur Evolution dazu. Wenn sich eine Lücke im Ökosystem ergibt, hat eine andere Art, die vielleicht besser an ihre Umweltbedingungen angepasst ist, die Möglichkeit, sich zu etablieren. Deshalb muss man auch immer hinterfragen, inwieweit wir durch Schutzmaßnahmen solchen Aussterbeprozessen entgegenwirken wollen. Dazu später mehr!

Wusstest Du schon…?
Laut WWF sind von insgesamt knapp 150.000 Tier- und Pflanzenarten fast ein Drittel bedroht. Das geht aus den Daten der Roten Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten der IUCN hervor.

Wie kann man Wildtiere zählen?

Um das lokale Verschwinden einzelner Arten frühzeitig feststellen zu können, ist ein flächendeckendes und regelmäßiges Monitoring notwendig. Also ein dauerhaftes Erfassen und Beobachten von Individuen einer Art. Dadurch lässt sich feststellen, wie sich die Population entwickelt. Gleichzeitig können wir viel über das Verhalten der Wildtiere lernen. Doch Wildtiere zu zählen ist gar nicht so einfach. Viele von ihnen sind nachtaktiv, haben riesige Streifgebiete oder sehen sich untereinander so ähnlich, dass man nie genau weiß, ob dieses Tier schon gezählt wurde oder nicht. Somit hat jede Tierart ein ganz spezielles Verhalten, wodurch sich mit der Zeit viele verschiedene Methoden zur Abundanzerfassung etabliert haben. Wir möchten Euch die wichtigsten kurz vorstellen.

1 Hase, 2 Rehe, 3 Wölfe

1. Jagd und Fotofallen

Die Jagd ist ein ganz wichtiges Hilfsmittel für ein flächendeckendes Monitoring von jagdbaren Tierarten wie Reh-, Schwarz- und Rotwild. Jedes erlegte Tier muss gemeldet und in eine Datenbank aufgenommen werden. Dadurch lässt sich exakt analysieren, wie viele Wildtiere welchen Geschlechts und Alter in einem bestimmten Gebiet pro Jahr zur Strecke gekommen sind. Vergleicht man diese Zahlen mit den Vorjahren, lassen sich die Bestandsentwicklungen beurteilen. Damit diese Zahlen tatsächlich nutzbar sind, gibt es jedoch einige Voraussetzungen. Die beiden wichtigsten sind, dass die Jagd der wesentliche Sterblichkeitsfaktor ist und dass man jedes Jahr mit etwa der gleichen Intensität jagt.

Mit solchen Wildkameras können neue Informationen über einige Wildtiere gesammelt werden.

Bitte für die Kamera lächeln

Jäger:innen haben auch oft Wildkameras in Jagdrevieren platziert, um immer zu wissen, was dort los ist. Diese Bilder können Wissenschaftler:innen ebenfalls gut gebrauchen, um Hinweise auf nachtaktive und scheue Tiere wie z.B. den Luchs zu bekommen. Durch ihre für jedes Individuum einzigartige Fellstruktur können sie das Tier exakt identifizieren und zum Beispiel herausfinden, wie groß sein Streifgebiet ist oder ob es nur auf Durchzug ist.

Luchse haben ein riesiges Streifgebiet und sind überwiegend nachtaktiv. Ohne Fotofallen hätten wir viel weniger Informationen über sie.
2. Bodenzählung

Hasen lassen sich gut vom Boden aus zählen. Dazu werden in der Nacht die Felder und Wiesen mit sehr starken Scheinwerfern abgeleuchtet und die Anzahl der reflektierenden Augen notiert. Das gleiche Prinzip funktioniert auch beim Rotwild. Der König der Wälder lebt nämlich viel lieber im Feld als im Wald. Das trauen sie sich allerdings erst im Schutz der Dunkelheit.

Vögel lassen sich am besten mit dem Gehör erfassen. Wer wissen will, ob ein Sperlingskauz in seinem Revier unterwegs ist, muss während der Dämmerung einen kleinen Spaziergang unternehmen und gut zuhören. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Ihr den Ruf des Kauzes eindeutig erkennen könnt.

Waldkäuze und andere nachtaktive Greifvögel sind mit dem bloßen Auge nur selten zu sehen. Man findet sie viel besser, wenn man ihrem Ruf folgt.
3. Losung

Losung ist der jagdliche Begriff für Kot. Findet man sie, dann weiß man zumindest schon mal, dass diese Tierart vorhanden ist. Das Verfahren wird gerne beim Monitoring von Wölfen angewandt, weil man die Tiere anders nur schwer vor die Augen bekommt. Und oft ist bei einer Sichtung ein Wolf nicht zweifelsfrei von einem Hund zu unterscheiden. Diese können sich untereinander sogar verpaaren und es entstehen sogenannte Hybride. Erst durch eine Laboranalyse der Losung lässt sich mit Sicherheit sagen, ob es sich um einen Wolf handelt.

Zählen oder schätzen – Hauptsache zur gleich Zeit

Es gibt noch viele weitere Methoden der Wildtiererfassung, wie zum Beispiel die Zählung an Winterfütterungen, die Erfassung von Verkehrsopfern oder sogenannte Fang-Wiederfang-Methoden. Bei fast allen Methoden ist entscheidend, dass eine Vergleichbarkeit hergestellt werden kann. Das heißt, die Scheinwerferzählung muss jedes Jahr im selben Gebiet und auch zur gleichen Jahreszeit erfolgen. Andernfalls könnten die Ergebnisse verfälschen. Und selbst wenn man alle Parameter gewissenhaft befolgt, lässt sich niemals eine exakte Zahl von Wildtieren bestimmen. Letztendlich handelt es sich immer um mehr oder weniger exakte Schätzungen.

Wildtiermanagement

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts fing man damit an, immer seltener die Ergebnisse aus den zahlenmäßigen Erfassungen als Grundlage für das Wildtiermanagement zu nehmen. Stattdessen bediente man sich ökologischen und ökonomischen Zielgrößen als Grundlage. Das bedeutet, dass der Vegetationszustand als Weiser dient, um Maßnahmen zu bestimmen. Das wesentliche Problem bei dieser Methode ist jedoch, dass keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Anzahl der vorhandenen Wildtiere gezogen werden können. Die Fraßeinwirkung hat neben der Anzahl an Tieren nämlich noch weitere Faktoren, wie zum Beispiel Störungen durch Freizeitsportler:innen oder andere Stressfaktoren. Trotzdem hat sich diese Methode durchgesetzt und wird als Grundlage für einen jagdlichen  Rahmen und Vorgaben für zu erlegendes Wild genommen.

Der Zustand der Vegetation ist ein wichtiger Weiser für das Wildtiermanagement.

Es gibt zwei Methoden zur Beurteilung von Vegetation. Das in den 1990ern in Bayern eingeführte Verbiss- und Schälgutachten beurteilt den Zustand der Gehölze in einem abgesteckten Gebiet. In diesem werden die verbissenen bzw. geschälten Bäume gezählt und ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Bäume gesetzt. Jedes Bundesland, bzw. jede:r Waldbesitzende hat mit diesen Zahlen die Möglichkeit zu bestimmen, ob der Schaden zu groß (das bedeutet mehr Jagd) oder annehmbar (gleiche oder weniger Jagdintensität) ist. Neben dem Verbiss- und Schälgutachten gibt es noch das Kontrollzaunverfahren. Es wird ein kleines Gebiet eingezäunt, in welchem die Vegetation ungestört wachsen kann. Diese wird mit der Vegetation außerhalb des Zauns verglichen. Die Methode hat in der Praxis jedoch nur wenig Relevanz und dient hauptsächlich der Wissenschaft, um das Wuchspotenzial eines Waldes festzustellen.

Exkurs: Vermehrungsrate von Wildtieren

Wie schon zu Beginn erwähnt, ist der Zeitpunkt der verschiedenen Zählverfahren sehr entscheidend. Im Mai oder Juni kann die Population schon doppelt so groß sein wie zu Jahresbeginn. Das liegt natürlich daran, dass nach dem Winter die Wildtiere ihre Jungen bekommen. Aus diesem Grund wird als Stichtag oft der 1. April gewählt. Um zu demonstrieren, wie sich eine Population vermehren könnte, wenn die Jagd eingestellt würde, möchten wir einmal anhand des Rehwildes veranschaulichen. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei der folgenden Rechnung um theoretische Werte handelt, die man in der Praxis so nicht vorfindet. Rehe sterben nicht nur durch die Jagd, sondern auch unvorhersehbar durch Verkehrsunfälle, Krankheiten oder als Beute von Wölfen oder Luchsen.

Vermehrungsrate von Rehwild

Diese Grafik veranschaulicht, wie schnell eine Rehwildpopulation wachsen würde, wenn sie nicht mehr bejagt wird. Bei einem (geschätzten) Anfangsbestand von 10 Rehen auf einer Fläche von 100 Hektar hat sich der Bestand nach nur 3 Jahren mit 31 Tieren bereits mehr als verdreifacht. In der Praxis steigt die Zahl natürlich nicht so schnell, weil andere Faktoren wie Verkehrsunfälle und Krankheiten ansteigen würden.

Wie viele Wildtiere haben wir, wie viele sollten hier sein?

Bei der Planung von Abschussplänen sind diese Zahlen sehr wichtig. Wenn aus Sicht der Waldbesitzenden eine vertretbare Anzahl an Rehen vorhanden ist (Stichwort Vegetationsgutachten), besteht das jagdliche Ziel darin, den Bestand gleich groß zu halten. Bei Rehwild beträgt die jährliche Vermehrungsrate etwa 120 % der Weibchen. Bei Rotwild etwas weniger und bei Schwarzwild kann sie 300 % und mehr betragen. Das liegt daran, dass Wildschweine sehr viele Frischlinge bekommen und das teilweise sogar mehr als einmal pro Jahr. Im Abschussplan für Rehwild würden in unserer Rechnung somit jährlich sechs Rehe pro 100 Hektar erlegt werden müssen, um den Bestand auf einem gleichem Niveau zu halten.

Die jährliche Vermehrungsrate von Rehen beträgt etwa 120% des weiblichen Bestandes.

Wusstest Du schon…?
Im Jagdjahr 2019/2020 gab es in Deutschland fast 200.000 Verkehrsunfälle mit Rehwild. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen.

Habitatmanagement

Kommen wir noch einmal zurück zum Natur- und Artenschutz. Anfangs haben wir die Frage in den Raum geworfen, inwieweit wir natürlichen Aussterbeprozessen entgegenwirken sollten. Ganz klar ist jedenfalls, dass das Aussterben, welches wir Menschen verursacht haben, rückgängig gemacht werden sollte. Das geschieht oftmals mit einem Schutzstatus für dieses Tier, man darf es dann nicht mehr bejagen. Diese vergleichsweise einfache Methode funktioniert bei solchen Wildtieren sehr gut, die der Mensch ausgerottet hat. Das beste Beispiel hierfür ist der Wolf. Vor über einem Jahrhundert wurde der “letzte Wolf” in Deutschland erschossen. Doch durch die Aufnahme in das Naturschutzgesetz hat Isegrim seit einigen Jahren wieder freie Bahn und verbreitet sich bereits wieder in fast allen Bundesländern, wodurch es wieder mehrere tausend Wölfe in Deutschland gibt.

Bei vielen anderen vom Aussterben bedrohten Arten funktioniert dieses Konzept leider nicht. Einige am Boden brütende Vögel, wie zum Beispiel der Kiebitz, profitieren wenig davon, dass man sie nicht bejagen darf. Die Ursachen für deren Rückgang sind vielfältig. Landwirtschaft, Klimawandel und Lebensraumverlust sind nur ein paar davon. Und genau hier kommt das sogenannte Habitatmanagement ins Spiel. Das gehört ebenfalls zu einem guten Wildtiermanagement dazu. Dadurch schafft bzw. erhält man neue Lebensräume. Nester können vor den großen landwirtschaftlichen Maschinen geschützt und Fressfeinde, wie zum Beispiel der Fuchs, bejagt werden. Letzterer profitiert im Gegensatz zum Kiebitz sehr von der menschlichen Nähe und würde sich unverhältnismäßig schnell vermehren.

Kiebitze haben es heutzutage sehr schwer. Sie benötigen viel menschliche Unterstützung, um eine Zukunft bei uns zu haben.

Wildtierzählung für viele von Vorteil

Ihr seht, einen guten Überblick über den Wildtierbestand zu haben, hat für viele verschiedene Anwendungsbereiche Vorteile. Die Informationen dienen dem aktiven Natur- und Artenschutz, aber auch zur Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Durch das Internet kann jeder Einzelne von Euch ebenfalls mithelfen. Habt Ihr schon mal eine seltene Tierart oder ein ungewöhnliches Verhalten beobachten können? Dann gibt es auf unterschiedlichen Plattformen die Möglichkeit, dies zu melden. Die Internetseite naturgucker.de ist eine der bekanntesten. Also Augen auf beim nächsten Spaziergang und bis bald im Wald!

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