Stellt Euch vor, Ihr wollt an einem schönen Sonntagnachmittag eine kleine Wanderung mit Eurer Familie durch den Wald machen. Nach kurzer Internetrecherche entscheidet Ihr Euch für den traumhaften Premium-Rundwanderweg, der nur 20 Minuten Fahrzeit von Eurer Wohnung entfernt liegt. Also packt Ihr noch schnell einen Rucksack mit ein bisschen Proviant und los geht`s. Auf der Tour bewundert Ihr den Eichenwald, der sich gerade im Herbst mit seinen bunten Blättern von seiner schönsten Seite zeigt. An einer ganz besonders schönen Stelle mit guter Aussicht entscheidet Ihr Euch für eine Pause. Und dann passiert es. Über Euch knackt es einmal kurz in den Baumkronen und plötzlich fällt ein dicker Ast genau auf Euren Kopf.
So ein Unfall ist leider nicht ganz unrealistisch. Im besten Fall kommt Ihr mit ein paar Kopfschmerzen davon, doch mit viel Pech kann das sogar bis zum Tode führen. Und irgendwann stellt sich die Frage: Wer ist daran schuld? Gibt es überhaupt einen Verantwortlichen? Inwieweit Försterinnen und Förster für die Gefahrenprävention und Verkehrssicherung zuständig sind, klären wir in diesem Artikel.
Waldtypische Gefahren
Mit waldtypischen Gefahren sind alle Gefahren gemeint, die auf natürliche Weise entstehen können. Dazu gehören beispielsweise Totäste, Kronenabbrüche, Schlaglöcher, Glatteis, Wurzeln und vieles mehr. Mit diesen Gefahren müssen Besucher:innen rechnen, wenn sie einen Wald betreten. Das gilt sowohl beim Pilzesammeln mitten im Waldbestand, als auch auf stark frequentierten Premium-Wanderwegen. Doch es gibt Ausnahmen. An Orten, die zum Verweilen einladen, wie zum Beispiel Grillplätze, Waldspielplätze oder Informationstafeln, gilt die Pflicht zur Verkehrssicherung. Hier müssen Waldbesitzer:innen regelmäßig Kontrollen durchführen (lassen) und Gefahren beseitigen.
Das Gegenteil von waldtypischen Gefahren sind die atypischen Gefahren. Menschen schaffen diese künstlich und dementsprechend haften auch diejenigen Menschen, die diese Gefahr hervorgerufen haben. Das können zum Beispiel nicht markierte Drähte oder Zäune sein, aber auch eine Holzerntemaßnahme, die nicht ordentlich abgesichert ist. Aus diesem Grund hängen auch große Hinweisschilder auf den Waldwegen, wenn dort ein Harvester Bäume fällt. An vielbesuchten Wegen werden sogar Sicherungsposten abgestellt, die darauf achten, dass niemand den Gefahrenbereich betritt und so Verkehrssicherung betreiben.
Der Wald ist für Alle da
Ihr wisst, dass Ihr ein Waldbetretungsrecht habt. Das bedeutet, auch wenn es nicht Euer Waldgrundstück ist, dürft Ihr dort spazieren gehen. Es gibt ein paar Ausnahmen, wie zum Beispiel in Naturschutzgebieten oder militärischen Sperrgebieten. Aber grundsätzlich gilt: Jeder und jede darf in den Wald. Diesem Betretungsrecht folgt allerdings noch der Zusatz “auf eigene Gefahr”. Ihr müsst also damit rechnen, dass dort auch mal hin und wieder ein Ast herunterfallen könnte oder dass es Schlaglöcher oder Wurzeln gibt, über die Ihr stolpern könntet.
Offiziell heißt es: Wer eine Gefahrenquelle schafft, hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass der Verkehr vor ihr geschützt ist. Das bedeutet, Waldbesitzer:innen müssen Menschen und Fahrzeuge davor schützen, dass Bäume keine Gefahr darstellen. Dafür sind regelmäßige Kontrollen der Verkehrssicherung gesetzlich vorgeschrieben. Lange Zeit war die Rechtsprechung diesbezüglich relativ ungenau. Wer darf die Kontrolle durchführen? Wie oft müssen Kontrollen gemacht werden? Wie genau sollen solche Kontrollen ablaufen? Als Meilenstein gilt hier das BGH-Urteil von 2012. Der Bundesgerichtshof (BGH) ist die höchste gerichtliche Instanz in Deutschland und prüft die Entscheidungen von Amts- und Landgerichten auf Rechtsfehler. In einem sehr ähnlichen Streitfall wie in unserem Beispiel entschied das Gericht, dass der Waldbesitzer nicht für “waldtypische Gefahren” haften muss.
Verkehrssicherung durch Baumkontrolle
Wie häufig Baumkontrollen stattfinden müssen, ist nicht gesetzlich festgelegt. So ein Intervall ist auch sehr individuell und muss der Situation angepasst werden. In jungen Beständen gibt es in der Regel so gut wie keine Gefahr, denn diese Bäume haben eigentlich noch keine Totäste. In einem sehr alten Bestand sieht das schon ganz anders aus. Die Landesforstanstalt Wald und Holz NRW hat sich beispielsweise auf einen Kontrollintervall von 18 Monaten festgelegt. Dadurch können sie abwechselnd die Bäume im belaubten und im unbelaubten Zustand begutachten. Zusätzlich zu diesen Regelkontrollen sind Waldbesitzer:innen dazu verpflichtet, nach großen Schadereignissen, zum Beispiel nach einem Sturm oder einer Überflutung, die Bäume auf Gefahrenquellen zu kontrollieren.
Eine solche Kontrolle läuft relativ einfach ab. Es genügt eine “fachlich qualifizierte Inaugenscheinnahme”. Es muss also regelmäßig eine Sichtprüfung durch eine qualifizierte Person erfolgen. Wenn Waldbesitzende keine fachliche Qualifikation haben, sind sie dazu verpflichtet, eine andere Person zu engagieren. Förster:innen gehören unter anderem zu diesem qualifizierten Personal. Erst wenn bei dieser Sichtprüfung Gefahrenquellen entdeckt werden, muss entweder eine eingehendere Untersuchung erfolgen oder die Gefahrenquelle direkt beseitigt werden.
Verkehrssicherung im urbanen Bereich
Die häufigsten Kontrollen erfolgen entlang von Straßen. Öffentliche Straßen befinden sich nicht mehr im Wald und deshalb kann es auch keine waldtypischen Gefahren geben. Autofahrer:innen haben das Recht, sich darauf zu verlassen, dass die Bäume am Straßenrand sicher sind.
Das Stichwort Autofahrer:innen ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine eingehende Untersuchung eines Baumes erfolgen muss. Wenn mal ein Verkehrsunfall passiert und jemand das Auto vor einen Baum fährt, dann ist das Auto meistens ein Totalschaden. Der Baum allerdings steht noch aufrecht da. Und nun stellt sich die Frage, wie stark er geschädigt wurde und ob er möglicherweise gefällt werden muss. In einem solchen Fall werden Sachverständige hinzugerufen, die ein ausführliches Gutachten erstellen, wie mit dem Baum umgegangen werden soll.
Stadtbäume sind ganz besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Neben vielen Abgasen und starker Bodenverdichtung haben auch einige Menschen die Angewohnheit, sich in der Baumrinde zu verewigen. Ein Herz mit den Initialen eines frisch verliebten Paares ist ein häufiges Beispiel. Was im ersten Moment romantisch erscheint, kann für einen Baum unter Umständen eine Verletzung bedeuten. Wird ein größeres Stück des Holzes verletzt, können Pilze in den Baum eindringen, die das Holz zersetzen und den Baum zum Umfallen bringen könnten. Das ist nur ein Beispiel von vielen im Stadtbereich. Deshalb werden Stadtbäume besonders regelmäßig und eingehend untersucht. Handelt es sich bei den Gefahren um beispielsweise Totäste, dann wird ein Stadtbaum nicht direkt gefällt. Speziell geschulte Baumpfleger:innen klettern dann den Baum hoch und sägen die gefährlichen Äste ab. Der Studiengang dafür heißt Arboristik.
Alles klar soweit?
Dieser Artikel sollte Euch einen kleinen Einblick in das relativ trockene Thema der Pflicht zur Verkehrssicherung von Waldbesitzenden geben und Euch darauf aufmerksam machen, dass Ihr vielleicht auch zwischendurch mal nach oben in die Baumkronen schauen solltet, wenn Ihr eine Pause im Wald einlegen möchtet. Der Artikel hat allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient nicht als Rechtsgrundlage. Falls Ihr noch Fragen habt, schreibt sie gerne in die Kommentare!
Quellen:
Wald und Holz NRW (2019): FAQ Verkehrssicherungspflicht
Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (2020): Baumkontrollrichtlinien
Ilka
25. Dezember 2022 — 07:04
Mir kommen beim spazieren gehen im Wald regelmäßig Fahrzeuge entgegen. Ich vermute, dass es sich nicht um die Waldbesitzer handelt. Was ist zu tun, um Autofahrer vom Wald fernzuhalten? Eine Anzeige möchte ich nicht stellen, nur darauf hinweisen, dass das Verhalten nicht dem Schutz der Natur dient. Viele Grüße Ilka
Kevin Gabel
12. September 2023 — 14:03
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Verkehrssicherung. Gut zu wissen, dass der Wald für die Zivilisten gesichert wird. Ich habe auch schon mal eine Baumkontrolle beobachtet.