Waldbewirtschaftung wie im Mittelalter?! Jan und Felix waren gemeinsam mit der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) in einem alten Hutewald in Nordhessen unterwegs. Die NW-FVA untersucht die noch existierenden Hutewälder und erforscht die darin lebenden Arten. Hutewälder gelten heute als regelrechte Hotspots der Artenvielfalt und sind ein Überbleibsel historischer Waldbewirtschaftung. Wie genau Ihr Euch Hutewälder vorstellen könnt und wo wir sie in Deutschland noch finden können, erfahrt Ihr in diesem Artikel.
Was sind Hutewälder?
Hutewälder sind eine jahrhundertealte Bewirtschaftungsart, die man sich als eine Mischung aus land- und forstwirtschaftlicher Nutzung vorstellen kann. Man bezeichnet sie deshalb auch als Waldweide.
Bis vor etwa 150 Jahren war die Landwirtschaft noch nicht industrialisiert. Man lebte von dem, was verfügbar war. Und weil der Kunstdünger noch nicht erfunden war, brauchte man das spärliche Gras der Wiesen für den Winter. Die Wälder waren entsprechend die Sommerweiden des Viehs. Neben den Früchten der Bäume, die auf den Boden fielen, also zum Beispiel Eicheln oder Bucheckern, wurden dabei auch manche der jüngeren nachwachsenden Bäumchen gefressen, sodass weniger von der natürlichen Verjüngung des Waldes zu Bäumen heranwachsen konnte. Das bot den Gräsern und Kräutern einen Vorteil. So entstand unter dem Dach der Baumkronen eine Weidefläche. Der Hutewald war geboren!
Neben der Weide für das Vieh nutzten die Menschen diese Wälder gleichzeitig für Brennholz, Honig, Früchte oder Flechtmaterial. Besonders die Hainbuche war ein wichtiger Bestandteil der Hutewälder. Sie wurde geschneitelt, das heißt, die Äste der Bäume wurden im Abstand weniger Jahre bis zu einer Höhe von 2 bis 3 m abgeschnitten, um die Blätter im Winter ans Vieh zu verfüttern.
Wahrscheinlich nutzte man Wälder bereits vor 6000 Jahren als Weidefläche. Lange Zeit konnte das kombinierte System aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft die Menschen nachhaltig versorgen. Doch in der frühen Neuzeit kam das System Hutewald an seine Grenzen.
Wieso verschwanden Hutewälder?
Ab dem späten 18. Jahrhundert wurde auf eine Trennung von Land- und Forstwirtschaft hingearbeitet. Die Entwicklung von Kunstdünger machte die Landwirtschaft produktiver und die Ablösung der Huterechte möglich. Waren die Bauern am Anfang noch dagegen, wurden Hutewälder schließlich auch zu unwirtschaftlich. Spätestens zum Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich eine andere Art der Waldbewirtschaftung durch. Dabei ging es immer mehr darum, möglichst viel Holz zu produzieren. Die meisten anderen Nutzungen, die sogenannten Nebennutzungen, fielen weg. Die Wälder sehen seitdem so aus, wie wir sie heute kennen. Hochwälder aus Laub- oder Nadelbäumen, deren Kronen dicht an dicht wachsen und kaum Licht auf den Boden lassen. Das Ganze hatte also nichts mehr mit einer landwirtschaftlichen Nutzung zu tun.
Das Glück einzelner Hutewälder war jedoch, dass die Menschen sie bereits damals als besonders schön und ästhetisch wahrgenommen haben. So wurde etwa der „Urwald Sababurg” in Nordhessen, auf Anregung des Malers Theodor Rocholl, frühzeitig unter Schutz gestellt. Damals nahmen viele Fachleute tatsächlich an, dass so der ursprüngliche Urwald aussah, und dass dieser Wald so bleiben würde, wenn man nichts mehr daran tun würde.
Dass dieser Wald sein Aussehen vor allem dem Menschen und der Beweidung über mehrere Jahrhunderte zu verdanken hatte, war kaum jemandem bewusst.
Welche Bedeutung haben Hutewälder heute noch?
Hutewälder sind also eine ganz besondere Landschaftsform und gelten heute als regelrechte Hotspots der Artenvielfalt. Die NWF-VA untersucht und erforscht die Bedeutung von Hutewäldern. Felix und Jan waren gemeinsam mit der NW-FVA in Nordhessen unterwegs und konnten hier im Forstamt Reinhardshagen die Relikte aus der Vergangenheit bestaunen.
Wusstest Du schon…?
Schätzungsweise 5.500 Hektar Hutewaldflächen gibt es heute nach Auswertungen des Bundesamts für Naturschutz von 2004 noch in Deutschland. Das sind gerade mal 0,05 % unserer gesamten Waldfläche in Deutschland. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Wälder schützen und erhalten, denn viele Tier- und Pflanzenarten sind auf genau diesen Lebensraum angewiesen.
Hutewälder beherbergen unzählige Arten, die speziell diesen Lebensraum brauchen. Zum einen wurden solche Waldbereiche wahrscheinlich über Jahrhunderte kontinuierlich beweidet. Das hat für die dort lebenden Arten stabile und gleichbleibende Bedingungen geschaffen. Auf der anderen Seite sind Hutewälder sehr dynamisch und vielfältig. Es gibt junge Bäume, Gebüsche, Lichtungen, alte Bäume, Bäume, die auch mal über lange Zeiträume absterben dürfen und Totholz bieten und das alles sehr nah beieinander.
Bäume, die von Weidetieren verbissen werden, nehmen teils besondere Formen an. Im Alter besitzen diese Bäume wegen ihrer krummen Form dann natürlich viele Höhlen oder totes Holz. Kommt da noch Licht und Wärme hinzu, haben wir eine Kombination, die wir in bewirtschafteten Wäldern heute nicht mehr so leicht finden, die vielen seltenen Arten aber wichtige Mikrohabitate bieten.
Besondere Arten im Hutewald kommen zum Beispiel aus den Gruppen der Holzkäfer, Schmetterlinge, Fledermäuse, Pilze oder Flechten. Um diese Arten erhalten zu können, ist es ganz wichtig, den Hutewald als Lebensraum und seine Kontinuität zu erhalten.
Wusstest Du schon…?
Typische Bewohner des Hutewaldes sind zum Beispiel selten gewordene Arten wie der Hirschkäfer oder der Eremit, aber auch die Bechsteinfledermaus. Im gesamten Reinhardswald hat man ca. 900 holzzersetzende Käferarten gefunden!
Wie können wir Hutewälder erhalten und schützen?
Die meisten Hutewaldflächen sind tatsächlich durch den Aufwuchs von jungen Bäumen gefährdet, denn dadurch dunkeln sie aus. Hutewälder sind aber vor allem von Licht durchströmte Wälder.
Im Gegensatz zu anderen Naturschutzansätzen, wo wir ja möglichst gar nicht mehr in die Natur eingreifen wollen (also beim sogenannten Prozessschutz) müssen Hutewälder aktiv gepflegt werden, um sie zu erhalten. Das ist der ganz klare Unterschied. Bei Hutewäldern wird kein Ökosystem in seinen “natürlicher Zustand” renaturiert, sondern eine alte Bewirtschaftungsform erhalten.
Das bedeutet, die Wälder müssen möglichst offen gehalten werden und das schafft man beispielsweise durch eine Beweidung. Jan und Felix konnten sich auf den Kühbacher Wiesen selbst ein Bild von der Pflege eines Hutewaldes machen.
Wusstest Du schon…?
Der Begriff Renaturierung oder etwas renaturieren, bedeutet, dass man versucht, eine vom Menschen beeinflusste Landschaftsform oder einen Lebensraum wieder in seinen natürlichen Zustand zu bringen. Aktuell werden zum Beispiel viele Moore renaturiert. Diese wurden durch den Menschen oftmals trockengelegt und werden nun wiedervernässt.
Rinder für die Artenvielfalt
Denise Lind ist Landwirtin und Gründerin von “Reinhards Waldrind”. Sie trägt mit der Beweidung mit Ihren Rindern zum Erhalt des Artenreichtums im Hutewald bei. Mehr zu Reinhards Waldrind könnt Ihr hier nachlesen.
Das Rote Höhenvieh gilt als ziemlich robust, toleriert also widrige Wetterverhältnisse und kommt mit wenig nährstoffreichem Futter aus. Früher war diese Rasse in den Heiden, Feuchtwiesen und Hutewäldern weit verbreitet, gilt heute jedoch als gefährdet und steht auf der Roten Liste der Nutztierrassen. Denise Lind trägt also nicht nur zum Schutz der historischen Wälder bei, sondern auch zum Erhalt dieser alten Rasse. Anfang der 1980er Jahre war das “Rote Höhenvieh” fast verschwunden. Aber dank engagierter Züchter:innen können wir es heute im Reinhardswald wieder bestaunen.
Neben der Offenhaltung der Flächen schubbern die Tiere sich an jungen Bäumen oder beißen ihnen mal Knospen ab. Das fördert die Entwicklung von Totholz, das wichtig für viele Insektenarten ist. Auch Höhlen entstehen, die zum Beispiel wichtig für Fledermäuse sind. Es hält die Flächen zudem halboffen. Halbschatten und einzelne Gebüsche sind interessant für Reptilien. Außerdem werden dominante Pflanzenarten zurückgedrängt, sodass eine vielfältige, blühende Krautschicht entstehen kann. Je mehr Pflanzenarten, desto mehr Insektenarten. Und zuletzt freuen sich viele Insekten natürlich auch über den Kot des Viehs. Insekten ziehen dann wiederum Vögel an und so weiter.
Die NW-FVA hat gemeinsam mit dem Forstamt Reinhardshagen zudem noch Maßnahmen zum Schutz der historischen Hutewälder der Region entwickelt. Zum Beispiel werden auf einigen Flächen junge Eichen gepflanzt. Sie dürfen alt werden und den lichten Eichenwald von morgen bilden und bieten so auch weiterhin Lebensraum für die dort lebenden Arten.
Erforschung der Hutewälder
Die nachhaltige Bewirtschaftung und Pflege der wenigen verbleibenden Hutewälder ist eine wichtige Komponente, um diese seltenen Lebensräume zu erhalten. Genauso wichtig ist aber auch, sie weiter zu erforschen. Das Hutewald-Forschungsprojekt der NW-FVA wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziert und will vor allem ermitteln, wo es in Nordwestdeutschland überhaupt noch historische Hutewaldrelikte gibt. Das sind Wälder, deren Bäume meist vor über 100 Jahren noch Weidetiere gesehen haben. Daher sammeln die Forscher:innen der NW-FVA alles zu Hutewäldern, ihrer Geschichte und ihrer Bewirtschaftung und schreiben darüber Veröffentlichungen, die Akteure aus der Forst- und Naturschutzpraxis dazu animieren können, etwas für den Schutz der letzten alten Hutewälder und ihrer Arten zu tun.
Die NW-FVA ist wahrscheinlich schon jetzt die Institution in Norddeutschland, wenn nicht in ganz Deutschland, die am meisten über historische Eichen-Hutewälder weiß. Sie möchte dieses Wissen erweitern und erhalten, um damit zukünftig auch beraten zu können. So könnten sie etwa die lokalen Forstämter dabei unterstützen, Hutewälder durch Beweidung wiederherzustellen und zu entwickeln.
Wir brauchen Hutewälder!
Hutewälder sind eine sehr selten gewordene alte Waldbewirtschaftungsart. Ähnlich wie zum Beispiel Heideflächen entstanden diese Lebensräume schon vor vielen Jahrhunderten durch menschlichen Einfluss. Genau deshalb ist es enorm wichtig, sie durch bestimmte Pflegemaßnahmen zu erhalten. Und das nicht nur, weil diese Wälder so schön und ästhetisch sind und man gerne in ihnen spazieren geht. Hutewälder sind richtige Hotspots der Artenvielfalt.
Viele der hier lebenden Arten brauchen eben genau den Lebensraum Hutewald, um überleben zu können. Der Schutz und die Pflege dieser Wälder tragen also elementar zum Erhalt der Artenvielfalt bei.
Wir danken der NW-FVA dafür, dass wir so viel Spannendes und Neues zu diesem Thema erfahren durften!
Quellen:
Wolbeck, D., Gruber, J., Mölder, A., Schmidt, M. (2023): Die Hutewälder und Triften im Reinhardswald – Zustandserfassung und mögliche Perspektiven, Jahrbuch Naturschutz in Hessen (Hrsg.), Band 22, S. 33-39
Wolbeck, D., Mölder, M. & Schmidt, M. (2024): Perspektiven historischer Hutewälder in Nordwestdeutschland. Artenschutzreport 51. S. 63-67. (PDF)
Pott, R., Hüppe, J. (2008): Naturschutzfachliche Bedeutung und Biodiversität kulturhistorischer Wälder und Hudelandschaften in Nordwestdeutschland, Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde (Hrsg.), 70, ¾, S. 199-126
Pott, R., Hüppe, J. (1991): Die Hudelandschaften Nordwestdeutschlands, ABÖL (Hrsg.), Nr. 89, Münster, 313
Glaser, F., Hauke, U. (2004): Historisch alte Waldstandorte und Hudewälder in Deutschland, Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), 193