Ist es überhaupt noch notwendig, in einer modernen Welt auf die Jagd zu gehen? Diese Frage beschäftigt viele Leute. Kritiker:innen beschreiben das Jagen als mörderisches Hobby, Befürworter:innen betrachten sie als notwendig in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft. Hier entsteht ein teilweise heftiger Diskurs, der oftmals sehr emotional geführt wird. Zu Beginn von Forst erklärt (vor etwa 4 Jahren!) haben wir uns diesem Thema bereits angenommen. Damit dieses wichtige Thema nicht in Vergessenheit gerät, gehen wir der Frag wie zeitgemäß die Jagd noch ist, erneut auf den Grund.
Nicht alle dürfen jagen
Die Jagd in Deutschland unterliegt strengen Regeln. Um überhaupt mit einer Waffe in das Jagdrevier fahren zu dürfen, muss man zuerst einige Hürden überwinden. Ein Jagdscheinkurs, bei dem Wildtierkunde, Waffenhandhabung, Jagdrecht und vieles mehr vermittelt wird, schließt mit dem “Grünen Abitur” ab. Außerdem überprüft man, ob die Jagdscheinanwärter:innen Vorstrafen haben. Das wäre ein Ausschlusskriterium für den Erwerb einer Jagdwaffe. Nachdem die Jagdprüfung bestanden ist, dürfen die frisch gebackenen Jungjäger:innen nicht einfach auf den nächsten Hochsitz steigen. Sie müssen sich zuerst um ein Jagdrevier bemühen, wo sie mitjagen dürfen. Das kostet meistens viel Geld. Außerdem sind sie dann für viele andere Dinge, neben dem typischen Abend- oder Morgenansitz, in diesem Revier zuständig. Zum Beispiel müssen sie kaputte Hochsitze reparieren oder sich um Verkehrsunfälle mit Wildtieren kümmern.

Ohne die Jagd gibt es zu viele Wildtiere
Ein beliebter Spruch unter Jagdkritiker:innen lautet “Die Natur reguliert sich selbst.” Damit geht einher, dass die Jagd überflüssig sei. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es in Deutschland so gut wie keine Natur mehr gibt. Überall hat der Mensch seine Finger im Spiel. Dazu gehört die Zersiedelung der Landschaft durch Städte, Straßen und Bahngleise. Außerdem können natürliche Regulationsmechanismen nicht mehr greifen. Wildtiere finden in der Agrarlandschaft das ganze Jahr ausreichend Nahrung. So kann keine natürliche Selektion stattfinden. Auch große Beutegreifer wie der Wolf haben kaum Relevanz. Gleichzeitig wird die Vermehrungsrate von Wildtieren, wie zum Beispiel von Wildschweinen, maßgeblich von der Nahrungsverfügbarkeit bestimmt: Ist viel Nahrung vorhanden, gibt es viel Nachwuchs. Und dank des Klimawandels schaffen es zusätzlich viel mehr Jungtiere durch den Winter als es natürlicherweise der Fall wäre. Mit der Bejagung dieser Wildtiere, können wir versuchen ein “künstliches Gleichgewicht” zu schaffen, wenn das “natürliche Gleichgewicht” nicht mehr möglich ist.


Jagen für Naturschutz und Artenvielfalt
Es gibt sogenannte Kulturfolger und Kulturflüchter. Kulturfolger passen sich an uns Menschen gut an. Sie finden Nahrung und Unterschlupf in Siedlungsgebieten. Dadurch können sich ihre Lebensumstände sogar deutlich verbessern, im Vergleich zu ihren natürlichen Habitaten. Das führt oftmals zu ansteigenden Populationsgrößen. Beispiele für Kulturfolger sind Fuchs und Wildschwein. Das Gegenteil sind die Kulturflüchter. Sie leiden unter dem Einfluss des Menschen. Rebhühner finden auf großen Agrarflächen keine Deckungsmöglichkeiten mehr und sind leichte Beute für Prädatoren. Durch die Jagd können wir zwar keine Verbesserung der Lebensräume herbeiführen, aber den Druck durch Fressfeinde reduzieren. Besonders invasive Arten führen häufig zu Problemen. Sie verdrängen heimische Konkurrenten und werden zum Albtraum für Vögel, deren Nester komplett ausgeräumt werden. Hier kann die Jagd ebenfalls zu einer Verbesserung führen.
Die Jagd unterliegt strengen Regeln
Jede Wildart hat spezielle Jagdzeiten. Diese variieren je nach Bundesland. Man darf Wildtiere also nicht das ganze Jahr über bejagen, sondern nur in bestimmten Zeiträumen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass während sensibler Phasen, in denen zum Beispiel Jungtiere auf die Welt kommen, möglichst nicht gejagt wird. Außerdem gelten zu jeder Zeit strenge Tierschutzauflagen. Jäger:innen müssen immer alles daran setzen, dass sie einen sauberen Schuss abgeben, der möglichst schnell tötet und wenig Leid verursacht. Auch der Mutterschutz ist ein wichtiger Faktor. Es ist strengstens verboten, ein Muttertier zu erlegen, wenn Jungtiere noch von ihr abhängig sind.
Dafür müssen Jäger:innen sehr gute Kenntnisse darüber entwickeln, um ihre potentielle Beute richtig anzusprechen. Um nicht zu viele Wildtiere zu erlegen, erstellen die Jagdbehörden Abschusspläne. In ihnen ist die Anzahl der zu erlegenden Wildtiere vorgegeben. Auch Alter und Geschlecht spielen dabei eine wichtige Rolle. Insgesamt kann man also sagen: Jäger:innen müssen viele Dinge beachten, bevor sie ein Wildtier erlegen können.
Wusstest Du schon…?
Abschusspläne sind Jahres- oder Mehrjahrespläne, in denen die Zahl der zu erlegenden Wildtiere festgehalten wird. Sie werden in Zusammenarbeit zwischen Jagdausübungsberechtigten, Hegegemeinschaften und Jagdbehörden erstellt sowie behördlich genehmigt und kontrolliert. Für jede Schalenwildart (außer Wildschweine) wird festgelegt wie viele Tiere, aufgeschlüsselt nach Alter und Geschlecht, in jedem Jahr erlegt werden sollen, um festgelegte Ziele, wie zum Beispiel eine natürliche Waldverjüngung, erreichen zu können.
Jagen für den Wald von Morgen
Die Jagd im Wald dient der Sicherung eines klimastabilen Mischwaldes von Morgen. Viele Waldflächen sind in den letzten Jahren durch die Auswirkungen des Klimawandels abgestorben. Damit hier neue Wälder entstehen, pflanzen Förster:innen junge Bäumchen, die besser an das zukünftige Klima angepasst sind. Sie sind den Wildtieren ohne unser Zutun hilflos ausgeliefert. Mit dem Anknabbern von Knospen und Trieben stören Rehe & Co. das Wachstum der Bäume und können sogar zum Absterben führen. Zum Schutz können Zäune gebaut, Einzelschutzmaßnahmen durchgeführt und die Zahl der Wildtiere mit Hilfe der Jagd reduziert werden.
Die Jagd ist ein sehr komplexes Thema mit unglaublich vielen Facetten. Insgesamt kann man sagen, dass die Jagd notwendig ist. Solange wir die Lebensräume der Wildtiere beeinflussen, ist auch ein gewisses Management notwendig. Die Jagd ist dabei nur ein Werkzeug von vielen. Wichtig ist, dass Jäger:innen sich ihrer Verantwortung bewusst sind und Tiere nicht wie Schädlinge abgeschossen werden. Und zum Schluss: Auch wenn man bei dem Thema schnell emotional wird, bleibt in einer Diskussion bitte immer lieb und sachlich zueinander!
Jakob
10. Januar 2025 — 11:46
Moin liebes „forsterklärt“-Team,
ich bin erst vor ein paar Tagen über „Spurensuche Gartenschläfer – Handbuch zum Schutz der Tierart“ auf eure Arbeit aufmerksam geworden und werde mich in der nächsten Zeit mal durchlesen. Bis jetzt bin ich schon sehr begeistert. Weiter so!
Ich bin Biologiestudent mit einem besonderen Interesse an Wildtierbiologie und der Wiederherstellung einer artenreicheren Landschaft in Deutschland.
Ich schwanke immer wieder zwischen der Frage, ob ich die Jagd auf Wildtiere als vertretbar oder verwerflich betrachten soll. Einerseits bin ich der Meinung, dass wir die Ökosysteme langfristig dabei unterstützen sollten, sich selbst zu regulieren und dass Jagd nicht als Leidenschaft oder Hobby ausgeübt werden sollte, das primär Spaß macht, sondern vielmehr als ein Mittel zum Zweck. Andererseits sehe ich in unserer heutigen Kulturlandschaft – geprägt von gestörten Ökosystemen, invasiven Arten, fehlender natürlicher Regulation sowie Problemen wie Verbiss – durchaus die Notwendigkeit, dass bestimmte Wildtierpopulationen (z. B. Reh, Wildschwein, Fuchs, Waschbär, Marderhund) durch menschliches Eingreifen reguliert werden.
Ich bin nicht dafür die Jagd zu verbieten aber denke das sie als Regulationswerkzeug nur kurzfristige Symptome behandelt, anstatt langfristige ökologische Probleme anzugehen.
Das Thema ist natürlich enorm komplex und lässt sich kaum in einem kurzen Artikel umfassend behandeln. Dennoch möchte ich ein paar Aspekte ergänzen, die mir in eurem Artikel gefehlt haben und die meiner Meinung nach in einer Diskussion wichtig sind:
Natürliche Selektion:
Ihr habt erwähnt, dass natürliche Selektionsmechanismen wie Prädation, Wintermortalität und natürliche Seuchen heute meist entfallen und daher durch die Jagd „kompensiert“ werden müssen. Im Bundesjagdgesetz (§ 23 „Inhalt des Jagdschutzes“) ist allerdings auch der Schutz des Wildes vor Futternot und Wildseuchen vorgeschrieben. Je nach Länderregelung kann das bedeuten, dass in harten Wintern sogar eine Fütterung der Wildtiere vorgeschrieben ist, wodurch die natürliche Selektion weiter ausgeschaltet wird. Natürlich dient die Vermeidung von Wildseuchen auch dem Schutz von Nutztieren (z. B. beim ASP-Virus in Wildschweinen). Gleichzeitig führt dies jedoch dazu, dass in Folgejahren mehr Tiere überleben und dementsprechend in der nächsten Jagdsaison vermehrt gesunde Tiere „entnommen“ werden müssen. Bei natürlichen Selektionsmechanismen sind meistens zunächst die schwächsten Individuen betroffen. Dies scheint in sich widersprüchlich und könnte intensiver diskutiert werden.
Verhaltensänderungen durch die Jagd:
Neben der Populationsreduktion hat die Jagd auch andere Auswirkungen auf Wildtiere, insbesondere auf ihr Verhalten. Studien zeigen beispielsweise, dass die Jagd die Verteilung von Rehen in der Landschaft beeinflusst: Durch Jagddruck meiden Rehe offene Flächen wie Felder, wodurch sie sich vermehrt in bewaldete Gebiete zurückziehen. Diese Rückzugsräume werden dadurch tagsüber oft stärker belastet, was ökologische Konsequenzen für die Vegetation und die Nutzung dieser Lebensräume haben kann (Q1). Außerdem hat die Jagd einen Einfluss auf die Fortpflanzung von Jagdwild. Während manche Arten durch den Jagddruck einen verringerten Reproduktionserfolg aufzeigen (z.B. Elche in Kanada – Q2), pflanzen sich andere Arten schon früher fort und erhöhen so die Reproduktion (z.B. Wildschweine in Frankreich – Q3).
Es gibt außerdem auch Anzeichen das sich Arten phänotypisch (also in der Ausprägung ihrer körperlichen Merkmale) ungewöhnlich schnell verändern wenn sie großräumig Jagddruck ausgesetzt sind, das kann „Trophy-species“ (z.B. die Mähne von Löwen, Stoßzähne von Elefanten) betreffen aber zum Beispiel auch einfach die durschnittliche Größe von Jagdwild (Q3).
Literaturverweise:
Q1 – Habitat use under predation risk – Bonnot et al. (2019); https://doi.org/10.1007/s10344-012-0665-8
Q2 – Effects of Humans on Behaviour of Elk – Ciuti et al. (2012); https://doi.org/10.1371/journal.pone.0050611
Q3 – Wildschweine – Servanty et al. (2009); https://doi.org/10.1111/j.1365-2656.2009.01579.x
Q4 – Trait change – Darimon et al. (2009); https://doi.org/10.1073/pnas.0809235106
Felix
10. Januar 2025 — 12:06
Moin lieber Jakob,
vielen Dank für deinen sehr ausführlichen und vor allem gut belegten Kommentar! Das schätzen wir wirklich sehr wert!
Grundsätzlich ist die Jagd wirklich sehr häufig widersprüchlich in sich. Und dazu gibt es natürlich tausende unterschiedliche Meinungen, die wenigsten sind davon wissenschaftlich belegt, insbesondere bei emotionalen Themen, wie dem Wolf. Und auch in der Wissenschaft gibt es Ergebnisse von bis, die sich teilweise oder scheinbar widersprechen.
Unterm Strich halten wir die Jagd für vertretbar, wenn sie nicht um des Jagenswillen selbst geschieht. Soll ganz einfach heißen: Ich schieße einen Fuchs, damit der Fasan überlebt, den ich dann wiederum schießen kann. Es gibt aber auch viele Naturschutzflächen, wo Raubwildbejagung zum Erhalt seltener Brutvögel geschieht. ABER: Auch hier gilt, wie du richtig anklingen lässt, an erster Stelle steht die Biotopverbesserung und nicht die Jagd selbst, um wieder ein Gleichgewicht entstehen zu lassen.
Beide Meinungen, zwischen denen Du schwankst, sind absolut legitim. Und wenn Du dich in der „jagdlichen Praxis“ mal umschaust, wirst Du viele Jägerinnen und Jäger finden, deren Verständnis und Zielsetzung der Jagd, du völlig ablehnen wirst. Andere wiederum werden vermutlich eine aus deiner Sicht eher vertretbare Jagd ausüben. Es gibt eben leider nicht „die Jagd“.
Wir halten es für eine sehr gute Idee, seine Meinung bzw. seinen moralisch-ethischen Kompass auf einer wissenschaftlichen Basis aufzubauen. Du scheinst da auf einem sehr guten Weg zu sein.
Viel Spaß weiterhin beim Stöbern auf unserer Seite
Beste Grüße
Felix